Wir leben in einer einzigartigen Zeit. Nie zuvor (und vielleicht bald auch nie wieder) waren die Grenzen zur Schwarzmarsch derart offen. Es ist daher meine Pflicht als Sohn Tamriels und Erbe des cyrodiilischen Geistes, dieses Land für meine Mitmenschen und alle Menschen, die noch kommen mögen, zu dokumentieren.
Tag 1.
Meine Untersuchung beginnt in angemessener Weise mit einem formellen Gespräch bei Vizekanonikerin Heita-Meen. Nach dem notwendigen Austausch von Nettigkeiten konnte ich ihr folgende Fragen stellen:
Könnt Ihr mir, wenn es Euch nichts ausmacht, die politische Struktur der Schwarzmarsch erläutern, sofern es eine gibt? Es ist allgemein bekannt, dass das ganze Land aus wenig mehr als unabhängigen Stämmen und verstreuten Festungen besteht, aber für einen Staat, der in der politischen Arena Tamriels respektiert zu werden hofft, kann das sicherlich nicht zutreffen.
- Ihr richtet solche Fragen an mich, weil ich über meine Saxhleelgefährten den Befehl zu haben scheine. Aber das wirkt nur so um der Diplomatie willen. Vergesst das nicht - ich vergesse es nie.
- O neugieriges Kind, nur wenige vom Volk der Schwarzmarsch hoffen ‘in der politischen Arena Tamriels respektiert zu werden’ oder denken überhaupt an die Außenlande. Jeder Hist ist ein Stamm, jeder Stamm ist ein Hist, und es genügt vollkommen hinzufließen, wohin uns der Lebensfluss jeden Tag führt. Die Stämme der nördlichen Schwarzmarsch agieren als Gegenmaßnahme auf Invasion und Plünderung durch Sklavenjäger in loser Konföderation und haben sich auf dieser Grundlage in einem Verteidigungsbündnis dem Ebenherz-Pakt „angeschlossen“. Die Versklavung der Saxhleel wurde zumindest in unseren unmittelbaren Gebieten beseitigt und wir glauben, dass diesem großen und historischen Bösen entgegenzuwirken etwas kulturelle Verwässerung und spirituelle Abschleifung rechtfertigt.
- In der „Vergangenheit“ hat es andere Konföderationen aus diversen Stämmen gegeben und als Antwort auf noch ungeahnte Bedrohungen wird das zweifellos auch in „Zukunft“ wieder vorkommen. Wir haben es in der westlichen Schwarzmarsch gesehen, in der Region von Gideon, als die Stämme dort durch die Bewohner Cyrodiils unter Druck gerieten. Ich habe auch gehört, dass sich manchmal die Stämme der Süd- oder Ostküsten verbünden, um sich den Einfällen der Räuber aus Morrowind und Elsweyr zu widersetzen. Es heißt, dass ganz Schwarzmarsch eines Tages ein Ganzes bilden und einen Monarchen auf Zeit erheben könnte. Das könnte sein. Saxhleel vereinen sich und sind stark, wenn es die Not gebietet - aber warum sich damit belästigen, wenn uns keine Not zu so einer Deformation des täglichen Lebens zwingt?
Bislang hat sich nur die Region Schattenfenn dem Ebenherz-Pakt angeschlossen und sich der Zivilisation geöffnet. Was würdet Ihr Trübmoor oder Kleinmottien sagen, um sie zu überzeugen, ihre Herzen und Grenzen zu öffnen?
- Bislang hat der Ebenherz-Pakt seine Herzen und Grenzen nur der Zivilisation von Schattenfenn geöffnet. Was würdet Ihr den Telvanni, den Räubern vom Geistermeer oder den Dunkelforstern sagen, um sie zu überzeugen, Schwarzmarsch als etwas anderes denn ein herrenloses Land zu sehen, dessen Volk und Vorräte man ohne schlechtes Gewissen ausplündern kann?
Ihr wurdet in dunmerischen Landen in die Sklaverei geboren, oder? Eure Bereitschaft, mit dem Volk zusammenzuarbeiten, das Euch versklavt hat, ist bewundernswert, auch wenn es sich meinem Verständnis entzieht. Die sogenannte Gottkönigin Almalexia fällt einem als jemand ein, der die Macht hätte, dieser barbarischen Praxis jederzeit Einhalt zu gebieten und es doch nicht getan hat.
- Ich wurde in argonischen Landen in die Sklaverei geboren, die von Dunkelelfen unterdrückt wurden, die einer Tradition der Schlechtigkeit folgten. Aber Traditionen können von denen verändert werden, die ihre Stärke und ihren Willen dafür einsetzen, sie zu verändern. Für uns scheinen die Religionen der Menschen und Mer hauptsächlich zu bestehen, um Tradition zu erzwingen und sich dem Wandel zu widersetzen. Das ist unerklärlich, also kümmern wir uns auch nicht viel darum. Die Nöte des täglichen Lebens verlangen schon genug Aufmerksamkeit.
Die Geschichte meines eigenen Volkes beginnt ebenfalls mit einem Sklavenaufstand. Alessias Rebellion hat zu einem großen Kaiserreich geführt, das sich über das Herzland und darüber hinaus erstreckt. Hegt Euer Volk ein ähnliches Bestreben?
- Was für eine kuriose Frage. Das Bestreben eines ganzes Volkes - was sollte das sein? Und warum? Wir Saxhleel haben keine gemeinsamen „Bestrebungen“ - wir brauchen sie nicht. Wir haben die Hist.
Tag 8.
Ich habe schon lange hinter mir gelassen, was dieses Land an geringer Annehmlichkeit und Entgegenkommen zu bieten hat. Ich hatte gehofft, hier mehr unverfälschte Berichte zu finden, wurde aber stattdessen mit Krankheit um Krankheit und einem scheinbar unheilbaren Fußpilz belohnt. Meine beiden Führer (ein einäugiger Argonier und ein absoluter Riesendunmer, die einander Brüder nennen) lachen über mein Elend.
Ich habe endlich eine Person gefunden, die sowohl Tamrielisch sprach als auch bereit war, befragt zu werden. Heem-Jas Antworten auf meine Standardfragen waren knapp und langweilig, zumindest bis es mir gelang ein Thema zu finden, das ihn zum Reden brachte.
Jeder Argonier mit dem ich gesprochen habe hat mir gesagt, dass die Hist eine entscheidende Rolle im Leben eines Argoniers spielen. Einige Bücher, die ich gelesen habe, legen sogar nahe, dass sie euch telepathisch kontrollieren können, um Armeen zu bilden oder wider euer besseres Wissen zu handeln. Ist da etwas Wahres dran?
- Es freut mich, dass Ihr diese Frage stellt, aber ich glaube kaum, dass ich klar darauf antworten kann. Ich bin schließlich nur ein furchtloser Abenteurer, kein Saftlecker. Was sollte ich schon wissen? Aber ich werde mein Bestes geben. Viele Worte, die wir im Jel benutzen, haben in der Trockensprache keine Entsprechung. Vielleicht hilft eine Analogie.
- Meine Eimutter hat immer gesagt, dass die Hist wie ein Schildkrötenpanzer sind. Der Panzer schützt die Schildkröte vor Schaden, gibt ihr aber auch Gestalt. Ohne ihren Panzer ist eine Schildkröte nur eine Echse. Daher benehmen sich Lukiul-Argonier seltsam und können unsere Stacheln nicht lesen.
- Man muss sich erinnern, dass wohin der Panzer geht auch die Schildkröte geht. Wenn ein Panzer den Hügel hinabstürzt, stürzt die Schildkröte ebenfalls. Wenn sich ein Panzer in einem Netz verfängt, hängt auch die Schildkröte fest. Wenn also der unter einem schweren Stein gefangene Hist der Xit-Xaht „verrückt“ genannt wird, sind auch auch die Xit-Xaht gefangen. Es ist eine traurige Sache, das mitanzusehen.
Ist monolithischer Stein nicht, wie es Eure Ahnen gemacht haben? Warum sollten Schlamm und Stock etwas überlegen sein, das Generationen überdauert hat?
- Dem Beispiel eines Vorfahren ist nicht immer weise. Wenn ich im Kielwasser meiner Eiväter schwämme würde ich Netzreusen flicken und Aale filetieren statt mich in heroische Questen zu stürzen. Aber meine Worte schweifen ab. Ich werde Euch sagen, was die Ältesten mir gesagt haben.
- Vater Sithis ist der Veränderer. Wasser steigt und sinkt. Stürme kommen und gehen. Saxhleel leben und sterben. Immer in Bewegung, seht Ihr? Nichts währt ewig. Warum Steinhäuser bauen, wenn das wahr ist? Stein ist langweilig. Ein aus dem Boden gehobener Stein ist nur ein Stein. Leder dagegen? Leder springt lebendig und sich windend aus seinem Ei. Es wächst, vernarbt und knittert. Und Holz? Holz beginnt als winziger Setzling, bis es schließlich Blätter und Borke und knorrige Knollen bekommt. Schlamm, Holz, Knochen sind immer in Veränderung begriffen. Aber Stein? Stein hält sich selbst für unsterblich. Das ist eitel und töricht.
- Ein Steinhaus mag also für lange Zeit stehenbleiben, aber letzten Ende zerfällt es trotzdem. Eure Lande sind mit zerbrochenen Festungen und alten Ruinen übersät, nicht wahr? Das sind jetzt nur noch verstaubte Höhlen, wo Monster leben.
- Nichts und niemand kann den Fluss ewig bekämpfen. Besser tapfer sein und mit ihm fließen.
Vielleicht versucht dieser Hist, zu einer größeren Argonierzivilisation zurückzukehren? Ist dieses Ziel nicht, so falsch seine Schritte auch sein mögen, trotzdem bewundernswert?
- Ha. Ich hoffe Ihr verzeiht, wenn ich Euch sage, dass die Frage sehr trocken ist. Kein Saxhleel würde so etwas sagen. Ich sollte Euch eine Gegenfrage stellen: Was macht eine Sache groß?
- Macht es wie ich. Denkt an Eure größten Helden. Als Ihr ein Schlüpfling wart, habt Ihr da Geschichten über Helden gelauscht, die Jahrhunderte stillgesessen haben und dann ins Dunkel verschwunden sind? Das würde eine ziemlich langweilige Geschichte abgeben. Ich weiß das, weil ich ziemlich aufregende Geschichten erzähle. Helden sind wie eine steife Brise im im Schilf. Sie schütteln die Welt mit ihrer Großartigkeit durch und verrauschen dann so schnell wie sie gekommen sind. Helden fürchten den Tod nicht. Was ist diese „größere Argonierzivilisation“, wenn nicht Furcht vor dem Tod? Furcht des Vergessens?
- Ich denke, dass sich Trockenhäute viel besser fühlen würden, wenn sie dann und wann mal Dinge vergäßen. Ihr seit so auf das „große“ und „fortwährende“ konzentriert, dass es Euch geradezu fesselt. Meine Eimutter hat mir gesagt, dass Erinnerung wie Verdauung ist. Die Wassofrucht schmeckt sehr gut, aber wenn man versucht, die Frucht zu lange zu behalten, führt sie zu Bauchschmerzen. Besser sie gehen lassen und eine neue Frucht finden.
- Die Hist wissen das besser als sonst jemand. Selbst die größten Reiche sind für sie nichts als ein Flackern der Kerze der Zeit. Die einzige Konstante ist Veränderung, versteht Ihr? Nun … das und natürlich meine Abenteuerlust.
Tag 12.
Auf der langen Straße nach Alten Corimont bin ich einer höchst ungewöhnlichen Person über den Weg gelaufen - sein Tamrielisch war tadellos, besonders nach dem Standard der Schwarzmarsch, und er behauptete, eine Schattenschuppe im Dienst der Dunklen Bruderschaft zu sein. Das war eine Gelegenheit, die ich einfach nicht verstreichen lassen konnte.
Man hat mir gesagt, dass Schattenschuppen diejenigen Argonier sind, die unter dem Zeichen des Schattens geboren werden, das im Monat Zweitsaat dominiert. In diesem Monat werden sicher tausende Argonier geboren, aber Ihr seid die erste Schattenschuppe, die mir je begegnet ist!
- Nun, ich wäre nicht sonderlich gut in meinem Beruf, wenn ich all unsere Geheimnisse preisgäbe, nicht wahr? Ich kann Euch ein paar Fetzen geben, an denen Ihr kauen könnt. Die meisten Geheimnisse sind ohnehin nichtssagender Aberglaube.
- Ja, Argonier, die unter dem Schatten geboren wurden, werden oft (aber nicht immer) in ein Assassinenlager geschickt, um die feineren Gesichtspunkte von Mord und Heimlichkeit zu lernen. Es gibt einige sehr hingebungsvolle Stämme wie die Kota-Vimleel, die all ihre Mittel dazu aufwenden, Assassinen hervorzubringen, aber ich habe den Verdacht, dass die meisten Stämme unter ihren stärksten Schlüpflingen ein oder zwei auswählen und sie zu Sithis schicken, während sie den Rest sicher zuhause behalten. Bei mir war das ganz sicher der Fall.
- Die Aufnahme in eine Schule der Schattenschuppen ist nur der erste Schritt. Viele Möchtegern-Schattenschuppen werden schon in ein paar Wochen nach der Ankunft wegen Ungehorsam, Blasphemie oder Untauglichkeit in den Sumpf zurückgeschickt. Dann gibt es den langsamen Verschleiß durch den Ausbildungsprozess selbst: Fehler beim Umgang mit Gift, Unfälle bei Kampfübungen, Angriffe durch Wildtiere etc. All diese Dinge fordern ihren Preis.
- Und nicht zuletzt sind Schattenschuppen Meister der Täuschung. Wir können überall sein und jeder. Ihr habt vermutlich schon mehr Schattenschuppen getroffen als Ihr denkt.
Ich habe auch gehört, dass Euer Orden direkt dem König von Schwarzmarsch untersteht, aber soweit ich weiß gibt es in der Gegenwart keinen solchen Titel.
- Ha! Ja, das habe ich auch gehört. Köstlich.
- Euch gebe Euch nun einen Rat. Geht in Zukunft einfach davon aus, dass die Hälfte von allem, was Ihr über Argonier hört, vollkommener Unsinn ist. Und geht davon aus, dass die andere Hälfte falsch interpretiert oder von Irrtümern durchzogen ist.
- Es mag eine Zeit gegeben haben, da ein Monarch über Schwarzmarsch herrschte, aber diese Tage sind längst vergangen. Mit den Xanmeers und Geheimnissen des Dämmersturzes in den Schlamm gesunken. Die gängige (und beliebteste) Interpretation lautet, dass die Rolle des Monarchen als Befehlshaber der Schattenschuppen schon immer überschätzt war. Der erste und einzige Souverän des Ordens ist Sithis selbst. Der König mag als Sithis’ Avatar gesehen worden sein oder als sein schlammgesalbter Diener, aber wer weiß das schon noch? Der Gebrannte Thron ist seit Jahrhunderten unbesetzt … wenn es überhaupt je einen Gebrannten Thron gegeben hat. Ich wäre schockiert, wenn jemals wieder ein König darauf säße.
[Der Rest des Tagebuchs ist der Zeit zum Opfer gefallen.]