Angesicht

Dieses Thema im Forum "Literaturforum" wurde erstellt von Rakios, 3. Januar 2010.

  1. Rakios

    Rakios Reisender

    Willkommen, hallo, guten [Tageszeit]!

    Jüngst ereilte mich eine wahrlich beschauliche Idee.
    Es geht um eine kleine Szene, die mir irgendwann in den Kopf gesprungen ist. Ich dachte mir so, dass es ein klasse Anfang für eine größere Geschichte wäre. Aber eine solche wollte ich dann doch nicht draus machen.
    Nun ist es praktisch eine eigenständige Kurzgeschichte. Viel Spaß!


    Angesicht

    Nur ein Tier. Kein Grund zur Beunruhigung.
    Alles Menschliche weicht aus ihnen, sagt man. Sie verhalten sich genau wie die wilden Tiere, deren Gestalt sie annehmen, hatte er gehört.
    Er richtete den Blick wieder auf die hechelnde Kreatur vor ihm, die sicher auf den Hinterbeinen stand und bedrohlich die Zähne bleckte. Ja, das war zweifelsohne kein Mensch, sondern nur noch Tier. Tiere konnte man bezwingen, wenn man seinen Kopf etwas anstrengte. Schließlich war man doch viel schlauer. Ein Raubtier wie dieses war auch nicht etwa furchterregend. Sicher konnte man es als ein wenig angsteinflößend empfinden, doch man war ja ein Mensch, man musste das nicht an sich heran lassen.
    Er nahm sein Schwert vor sich in beide Hände und versuchte, sich zu konzentrieren. Vor seinem Gesicht quollen Atemwolken. Wenn es doch nur nicht so kalt gewesen wäre! Die Kreatur schien damit kein Problem zu haben. Aber das schwarze Fell war doch bestimmt gar nicht lang genug, um vor der Kälte zu schützen. Ganz sicher würde das im Kampf einen Vorteil bringen, schließlich hatte er dicke Kleidung an. Trotzdem war ihm so schrecklich kalt und die stechenden gelben Augen des Monstrums blickten wie im Hohn auf seine frierende Gestalt hinab. Ihm fiel etwas auf. Die wolfsähnliche Bestie tänzelte ständig ein wenig auf der Stelle. Vielleicht sollte er sich auch bewegen. Ja, das war eine gute Idee. Was das Tier konnte, konnte er schon lange. Sofort begann er, von einem Bein aufs andere zu treten.
    Die Kreatur löste sich aus ihrem Bewegungsablauf und sprang nach vorn auf ihn zu. Bevor er reagieren konnte, stieß ein mächtiger behaarter Arm gegen seinen Brustkorb und warf ihn weit zurück. An einem dürren Baumstamm prallte er ab und verlor die Balance, sodass er in der nächsten Sekunde hart auf dem Boden aufschlug. Er spuckte dreckigen Schnee, das Atmen fiel ihm schwerer.
    „Das kann vorkommen.“, sagte er laut zu sich selbst und stand sofort wieder auf, noch bevor er richtig spüren konnte, was ihm eigentlich alles wehtat.
    „Absolut normal, dass das mal passiert.“ Es half besser, wenn er es aussprach.
    „Nur nicht zu lange zögern darf man…“ Langsam aber sicher hatte er seine Ausgangsposition wieder erreicht. „Ihnen keine Zeit geben, ihre Instinkte zu nutzen.“
    Ganz genau. Er hatte nicht aufgepasst, da konnte es durchaus passieren, dass man getroffen wurde, selbst von einem Tier.
    „Einfach schnell und hart zuschlagen, dann haben Tiere gar keine Chance. Denn man weiß ja, was man tut.“
    Der Werwolf gab ein helles Grunzen von sich und leckte sich wie bei gutem Appetit über die Lippen. Nein, Unsinn. So etwas taten Tiere nicht, nicht so. Das kannte man ja von Hunden. Die machten so was auch manchmal mit ihrer Zunge. Das hatte gar keine Bedeutung.
    „Am besten tut man es einfach.“, entschied er, „Denn wenn man nichts tut, ist man nicht besser als das Tier.“
    Also stürmte er nach vorn und schlug mit seinem kleinen Schwert nach der Kreatur. Wie konnte es sein, dass er nicht getroffen hatte? Der Werwolf war nach hinten ausgewichen. Ging das überhaupt? Aber natürlich, selbst Tiere konnten so etwas. Ausweichen war kein Zeichen von Intelligenz. Einfach schnell und entschlossen, wie gesagt, dann konnte gar nichts schief gehen. Er drang hastig wieder vor und ließ die Klinge immer wieder niederfahren, und siehe da, er traf! Selbstverständlich traf er, denn er hatte ein Tier zum Gegner.
    Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Die schwarze Pranke hieb nach seiner Führungshand. Sich dutzendfach überschlagend flog das Schwert ins Unterholz.
    Die Sicherheit! Die Sicherheit war ins Gebüsch gefallen!
    Schreckliches Knurren drang ihm aus nächster Nähe entgegen, kurz bevor lange Klauen ihm blutige Wunden in den Brustkorb rissen.
    Ganz plötzlich war ihm wieder kalt. Und die fürchterliche Bestie griff erbarmungslos an. Furcht übermannte ihn völlig, als er wieder am Boden lag. Es gab keine Bäume und kein Unterholz mehr, nur noch geifernde Fänge und grausige Krallen.
    In dem Moment, als die Bestie ihm die Kehle zerriss, wurde ihm noch sein Fehler klar.
    Nicht nur ein Tier.

    Ende


    Hoffentlich gefiel es, wie ich immer sage.
     
    Zuletzt bearbeitet: 6. April 2010
    BoneHead und TakoTatsujin gefällt das.
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  3. TakoTatsujin

    TakoTatsujin Bürger

    Um ehrlich zu sein... es ist richtiog klasse. Lässt sich gut lesen.
    So etwas wie du da geschrieben hast, könnte der Standpunkt der Menschen in meiner Geschichte sein ''Spirits'', nur eben besser formuliert und geschrieben. Kannst es dir ja mal anschauen, wenn du zeit hast.
    Was mir vorallem gefällt ist, dass du viele Deteils erklärst, so was schätze ich bei einer Geschicht und sei es nur eine Kurzgschichte sehr. Denn so bekommt man eher ein Bild von der Situation und der Denkweise des Autors. Leider bin ich in Kritiken schreiben nicht so gut, weil ich entweder von einer Sache überweltigt bin, dass ich das Meiste wieder vergesse oder es so viele Mängel gibt, dass ich sie garnicht alles aufzählen will. Bei dir ist ganz klar ersteres zutreffend.

    Gruß: TakoTatsujin
     
    Rakios gefällt das.
  4. County

    County Bürger

    das geht ganze geht flüssig und reibungslos von der zunge ^^ lässt sich echt prima lesen!
    Klasse arbeit geworden ;)
     
  5. BoneHead

    BoneHead Ehrbarer Bürger

    Habs erst heute per zufall entdeckt. Trifft genau meinen geschmack, auch wenn das ende irgendwie von anfang an klar war
     
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