Hm, wenn ich in Amerika unter den Bedingungen der Todesstrafe schon so weit gegangen wäre, dass ich einen Menschen getötet hätte und diese Strafe auf jeden Fall auf mich wartet, würde ich vorher, gerade weil ich wüsste "Jetzt ist es zu spät, ich werde sowieso getötet..." noch mehr Menschen und dann mich selbst erledigen, käme ich denn mal in so eine Situation.
Ich würde mich jedenfalls nicht stellen, warum sollte ich auch, mit der Aussicht auf den Tod? Da liefere ich mir doch lieber noch ein heißes Gefecht mit dem Arm des Gesetzes...
Nein, aber das vermute ich zumindest, ich kann es nicht wissen.
Natürlich könnte man ohne Todesstrafe so denken, dass es sowieso keine Konsequenzen gibt, und Menschen töten, aber diese Denkweise wäre dann schon... bedenkenswert...
naja, dann wäre dein Antrieb ja der Wunsch nach "Action".
So seltsam das ist, ich kann mich extrem genau in den Geist solcher Täter reinversetzen, was wahrscheinlich ein Anzeichen meines eigenen Größenwahns ist oO
Ihr geht davon aus, dass die Tötung vieler Menschen auf einen Haufen als sinnlos empfunden werden muss. Nach der in euch verankerten moralischen Geisteshaltung ist das auch so. Der Amokläufer sieht das anders. Er gewinnt ein extatisches Gefühl von Stärke und Macht dadurch, dass er sich zum Herrn über Leben und Tod aufschwingen kann. Rache, Macht, Allmacht, solche Worte sind es dann, die das Tun des Amokläufers antreiben. Stellt euch jemanden mit einer Überdosis aller möglichen und unmöglichen Rauschmittel aufgeputscht und zudem gepaart mit einer hohen Aggressivität, einem Superiositätskomplex und einer oder mehrerer geladener Handfeuerwaffen vor. Das mag jetzt ein klassisches Klischee fördern, aber so ungefähr sieht es aus.
Aber selbst aus Amokläuferrationalität betrachtet: Welchen Nutzen hätte ich von einem Amoklauf? Wenn ich diejenigen töte, die mich anbeten und fürchten, dann kann ich mich ja nicht in dem düsteren Ruhme baden. Wenn ich mich selbst töte oder getötet werde, dann kann ich das ja ebenso wenig genießen, weil tot lebt es sich schlechter. Da ziehe ich es doch lieber vor, ein gefürchteter Sonderling zu sein als wild um mich zu ballern.
Die meisten Amokläufer haben absolut nichts zu verlieren und wollen so oder so Selbstmord begehen, da sie sich von der Welt unverstanden fühlen. Jedoch reicht ein Selbstmord für sie nicht, sie müssen ihrer Meinung nach ein destruktives Exempel statuieren. Der Selbstmord dient als Flucht, der Massenmord aber als Ventil aufgestauter Aggressionen oder aber als Symbolsetzung.
Cho Seung-Hui hatte sich in erster Linie selbst rächen wollen, in zweiter Linie wollte er aber auch moralisieren. In seinen Videos und seinen Botschaften zeigte er ganz klar auf, was er über die Gesellschaft dachte, über die Snobs und Flittchen usw. Er hatte uns, man möge mir diese Wortwahl verzeihen, dankeswerterweise einen tiefen Einblick in seine eigene Gedankenwelt gegeben, aus dem wir unbedingt lernen sollten. In seinem Fall ist es dafür ja leider zu spät.