Warum Nord keine Glocken nutzen
[Eine aus den Erinnerungen von Balsurea Daboll extrahierte Erinnerung, zur Überprüfung ihrer Nicht-Literarischen Quellen für die Magister-Dissertation des Hauses Telvanni]
Der Alte krallte seine Finger in das spröde Holz seines Stuhles, als Balsurea das winzige Haus ihres Großvaters betrat, in welchem sie aufgewachsen war. Sie wusste nicht, ob das festkrallen eine Reaktion seines Alters oder seines Elfenhasses war.
»Guten Morgen, Großvater.«
»Balsurea. Es ist lange her«, sagte der Nord.
Er ist trotz seines hohen Alters noch immer breiter, als jede Tür der Hlaalu, dachte sich Balsurea. In seinem Blick sah sie noch immer einen Funken Hass ihr gegenüber.
»Ja, leider.« Sie nahm sich ein Kissen und setzte sich dem Nord gegenüber, wie sie es früher als Kind tat. Wobei ich unter meines Gleichen kaum das Jugendalter verlassen habe ... »Ich war in Vos beschäftigt.«
»Vos«, fauchte der Nord, ließ dabei seinen schneeweißen Bart wackeln. »Ist das eine Stadt? Wer nennt denn eine Stadt so? Vos!«
»Stimmt wohl. Hattest ja auch immer Probleme mit meinem Namen.«
Der Mann seufzte. »Tut mir leid, meine liebe. So war das nicht gemeint.«
»Verstehe schon.«
»Ich war nur überrascht, als ein Bote mit deinem Brief kam und sich als dein Diener vorstellte. Ein eigener Diener!«, rief er und klatschte in die Hand.
Balsurea schreckte auf, als der tölpelhafte Nord seine Hand auf ihre feuerroten Haare legte. Dann wuschelte er ihr hindurch.
»Meine Balsurea scheint Karriere bei den Tel Vos zu machen!«,
Urplötzlich spürte Balsurea, wie die Haut ihrer Wangen purpur wurden. »Nein, Opa. Es heißt Telvanni. Tel Vos ist ... da wohne ich.«
»Ah!«, sagte der Mann. »Na, auch so eine Elfen-Sache, was? Schön komplizierte Namen.«
»Ah ja?!«, sagte Balsurea. »Ich sage nur: Rifton und Riften.«
Der zunächst freudige Blick des Nord wurde schlagartig emotionslos. »Darüber spricht man nicht, meine kleine!«
»He he ...«, gab sie von sich.
»Aber kommen wir nun zum Grund deiner Anwesenheit, mein Aschen-Juwel.«
Der Blick der Dunmerin fiel auf den Boden. »Es ist mir etwas peinlich ...«
Die Hand des Nord schlug auf seine Armlehne. »Ein Elf hat dich geschwängert!«
»Was?«, rief sie.
»Keine Sorge. Du bist auch ein Elf. Das ist kein Problem. Warum aber dein Vater deines gleichen bevorzugte. Wo lernte er deine Mutter noch mal kennen? In einer Taverne in Suran, richtig?«
Die Lippen der Elfin pressten sich zusammen. »Ja, eine Taverne.« Sie hatte vor einigen Monaten die ›Taverne‹, von der ihr Vater ihr berichtete, mit eigenen Augen gesehen. Und als der Großvater wieder davon sprach, schossen ihr Bilder von roten Papierlaternen und drei, eng aneinander liegenden Bühnen ins Gedächtnis. Sie räusperte sich. »Aber nein, ich fand noch niemanden. Es geht um meine Arbeit im Haus Telvanni. Ich könnte bald eine eigene Stadt regieren.«
Die Augen des Großvaters wurden groß und seine angegilbten Zähne schimmerten durch seinen schneeweißen Bart. »Wirklich? Eine Bürgermeisterin? Meine kleine Bali? Ich bin Stolz auf dich! Ich wusste doch, dass nicht alle Elfen nichtsnutzige Ewig-Lebende sind.«
»Opa ...«
Er lachte beherzt los. »Du klingst wieder, wie meine kleine Enkelin, die gerade erst laufen gelernt hat.«
Wieder spürte Balsurea das Pupur-Werden ihrer Wangen.
»Ich mach doch nur Spaß!« Der Nord wuschelte ihr wieder durch das Haar. »Ich weiß doch, dass die Elfen Teil vom Reich sind. Und ich kenne einige echt anständige.«
»Ja? Wen?«
»Deine Mutter. Und du. Reicht das nicht? Kenne ja auch nur eine Handvoll von anständiger Nord, obwohl ich schon immer hier gelebt habe.«
»Danke, Opa. Aber damit ich Bürgermeisterin werden kann, muss ich eine Arbeit schreiben.«
»Oh, wirklich? Dachte, Elfen werden durch Mord befördert.«
»Ja ... das auch. Aber ich will keinen Umbringen. Daher muss ich eine Dissertation abgeben.«
Die rissige Hand des Großvaters ging durch seinen Bart, wobei einige Essensreste herausfielen. »Und dein Opa kann dir dabei helfen? Sehr gerne!«
»Vielen Dank. Also das Thema ist recht einfach«, sagte sie, nahm einen Notizblock aus ihrer Umhängetasche. »Ich war einige Monate in Cyrodiil und das Dorf, in dem ich lebte, wurde angegriffen.«
»Oh nein. Habt ihr euch verteidigt?«
»Natürlich. Ich habe einige Feuerbälle geschleudert.«
»Gutes Kind!«, rief er, wuschelte erneut durch das Weinrot auf dem Kopf.
»Als der Angriff begann, schlugen die wenigen Wachen sofort Alarm ... mit Glocken.«
»Was?«, rief der Großvater empört und lehnte sich gespannt nach vorne. »Erzähl weiter.«
»Ein Nord, der ebenfalls zu Besuch war, zuckte direkt zusammen, schaute hinauf in den Himmel, obwohl die Feinde auf dem Boden waren und stammelte ›Keine Ziegen, bitte keine Ziegen!‹. Als die Glocken dann mehr als Dreimal geschlagen wurden, war er sichtlich erleichtert.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Und dann erinnerte ich mich an meine Kindheit in Weißlauf. Wir wurden ja öfter angegriffen und-«
»Du schreibst eine Dister ... Dissi ... ach, verflucht sei eure Elfen-Sprache!« Seine Wangen wurden Rot, ehe er sich räusperte. »Du schreibst also eine Arbeit darüber, warum wir Signalhörner nutzen?«
»Ja, ich mein, eine große Glocke wäre doch auch Ideal und lauter, oder nicht?«
Der alte Mann lehnte sich wieder in seinen Stuhl. »Wohl wahr, wohl wahr. Sag, meine niedliche. Weißt du, wer der Allschöpfer ist?«
»Oh, öhm ...« Sie versuchte sich an ihre Zeit in Himmelsrand zurückzuerinnern. »Sh ... Shor?«, sagte sie mit deutlich höherer, unsicherer Stimme.
»Ist das eine Frage?«
»Nein?«, antwortete sie mit noch höherer Stimme.
»Sagen wir einfach, du hast recht. Ich glaube, deines gleichen nennt ihn ... Sithis? Oder Lorkhan? Ich komme da immer durcheinander. Wie dem auch sei. Irgendwann kommt der Allschöpfer, oder Shorkhan, wie ich ihn jetzt nenne. Ha! Und wenn er kommt, endet die Welt. Und wenn die Welt endet, hört man die Glocken der Ziege des Shorkhan.«
»Sh ... Shorkhan, nun gut. Ihr Nord denkt also, wenn man Glocken hört, endet die Welt?«
»Wir Nord?«, sagte der alte Mann empört. »Nur weil dein Arsch schwarz ist, heißt das nicht, dass du keine Nord bist! Habe ich dir nie die Geschichte von Jeeof Brand-Arsch erzählt?«
Die Dunkelelfin seufzte, legte eine Hand auf ihre Stirn. »Du hast ihn mir sogar vorgestellt und er zeigte mir seinen verbrannten Hintern. An meinem Geburtstag.«
»Ja, siehst du? Also: Ja, WIR glauben daran. Aber nicht, dass jede Glocke den Untergang bedeutet. Doch Glocken provozieren die wilde Ziege des Shorkhan. Und wenn sie provoziert wird, schlägt sie ihre eigenen Glocken! Damit weckt sie den Allschöpfer. Keine Ahnung warum die Mini-Nord in Cyrodiil diese Tradition vergessen haben, aber was solls ... Die trinken ja nicht mal mehr Met.«
»Ah«, sagte Balsurea. »Daher die Tradition mit den Hörnern.«
»Na klar!«, rief der Alte. »Mit dem Horn eines eigens erschlagenen Tieres Alarm zu geben ist so viel besser, als mit einer gegossenen Glocke. So wie mein Dremora-Horn.«
»Ja gut!«, rief Balsurea und schrieb alles auf, was ihr der Großvater erzählt hatte. Ihre Konzentration lag auf dem Pergament auf ihrem Schoß und dem zu führenden Kohlestift. Als sie nach dem Schreiben ihren Blick von dem Pergament nahm, blickte sie auf ein schiefergraues Horn, welches der Großvater in der Hand hielt. Das Horn war rau und mit goldenen Ringen verziert.
»Was?«, fragte Balsurea.
»Nimm es«, sagte der Großvater. »Es gehört in die Hände eines Nord und meiner Nachfahren. Dein Vater kann es ja nicht mehr nutzen.«
Als Balsurea völlig perplex mit beiden Händen nach dem unerwartet schweren Horn griff, blickte sie in die Augen ihres Opas. »Aber ...«
»Ach, jetzt mach doch nicht so ein Gesicht. Du bist eine bessere Nord als jeder hier in der Stadt.«
Die Nord musste sich anstrengen, um ihrer Tränen nicht freien Lauf zu lassen. »Danke, Opa.«
»Sehr gerne. Ach ja. Du kamst von Morrowind, richtig? Kamst du bei Rift...on vorbei?«
Als Balsurea das Horn in ihrer Tasche verstaute, hörte der alte Mann das klimpern der Met-Flaschen. »Klar!«
»Gutes Kind!«, rief der Großvater.
[Analyse der unliterarischen Quellenangabe abgeschlossen. Quelle ist korrekt. Anmerkung zur Entscheidung von Magister Hlervaro: »Die Nord halten nicht viel von so Dingen wie Aufzeichnungen ihrer Vergangenheit. Ihre Xaxerigkeit leitet sie zwar zum Tagebuch-Schreiben aber nicht zur Aufbewahrung dieses durch Familienangehörige. Daher ist die Überlieferung von Legenden, Traditionen und Geschichten durch Sprache einer der Säulen ihrer Kultur. Man kann die Quellen zwar Anzweifeln, aber wo sollte Balsurea sonst Quellen finden, als in Himmelsrand? Sollte sich der Rat dazu genötigt fühlen, Empörung zu empfinden, so möge dieser bitte sachdienlichere Quellen angeben. Doch da Ratsherren des Hauses Telvanni vieles sind, von Töchter-Schläfer bis hin zu Feiglingen, aber niemals ehrgeizig über den Rang eines Ratsherren hinaus, rechne ich mit keiner weiteren Quelle. Balsureas Quelle ist korrekt im Kontext der Quellenaufzeichnung der Nord. Antrag auf Beförderung zum Magister wird stattgegeben. Herzlichen Glückwunsch, Magisterin Balsurea Daboll«]