Hoch zu Ross machte sich die Gruppe auf, um außerhalb der Tränenstadt die letzte Teilnehmerin der Jagdgesellschaft auf zu lesen. Gerlof und Daewyn hatten jeweils ihr eigenes Pferd, Pyrah nahm hinter Sarvos Platz. Das Mädchen hatten das Reiten bisher noch nicht gelernt, doch der Dunmer gedachte, dies so schnell wie möglich nachzuholen.
„Also Sarvos“, meldete sich Daewyn nach einer ganzen Weile, als die Stadt schon einige Minuten hinter ihnen lag. „Mach doch nicht so ein verfluchtes Geheimnis aus der Sache. Wen willst du noch aufgabeln?“ Die Frage brannte dem Bosmer schon eine ganze Weile auf der Seele, nun brachte er sie endlich zur Sprache.
„Claudia.“
„Was?!“ Ruckartig brachte Daewyn sein Pferd zum Stehen und lenkte es vor das Ross von Sarvos. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Das konnte Sarvos nicht ernst meinen! „Claudia?! Diese verrückte Hexe?! Bist du von Sinnen?! Die Schlampe hat versucht, mir den Schwanz abzuschneiden!“
Sarvos musste lächeln. Er kannte die Geschichte. Daewyn war einst der Liebhaber der Magierin Claudia gewesen. Die Frau war ziemlich besitzergreifend, wie der Bosmer am eigenen Leibe lernen musste. Als Claudia ihn mit einer anderen Dame im Bett erwischte, grillte sie die Konkurrentin und versuchte dann, mit einem Dolch die Geschlechtsorgane von Daewyn abzutrennen. Er konnte sich nur mit einem beherzten Sprung aus dem Fenster und in einen Misthaufen retten.
„Keine Sorge“, beschwichtigte Sarvos seinen bosmerischen Freund. „Du musst nicht mit ihr sprechen. Ich werde das übernehmen. Und im Lager bekommt ihr die Zelte an den gegenüberliegenden Seiten. Aber wir brauchen Claudia. Sie ist eine mächtige Magierin, bewandert in Zerstörung und Veränderung. Sie kann uns von großem Nutzen sein.“
Daewyn murmelte etwas unverständliches, das sich wie eine widerwillige Zustimmung anhörte und ließ Sarvos' Pferd dann passieren. Die Gefährten setzten ihren Weg zu Claudias Behausung, einem kleinen Turm einige Minuten vor den Toren der Tränenstadt.
Sarvos brachte einige Meter zwischen sich und den anderen, diesen Zeitpunkt nutzte Pyrah, um eine Frage zu stellen: „Ist diese Claudia wirklich so schrecklich, wie Daewyn es sagt?“
„Schlimmer“, kam die Antwort des Schwarzfuchses. „Sie ist eine unberechenbare Furie, leicht zu reizen und schwer wieder zu beruhigen.“
Pyrah sog erschrocken die Luft ein. Wie konnte ihr neuer Vater so eine Frau mit auf die Reise nehmen, wenn sie doch so gefährlich war? Das Mädchen verstand diese Aktion nicht. Vielleicht musste sie es auch nicht, Sarvos wusste sicher, was er tat.
„Da sind wir.“ Abrupt blieb die Gruppe stehen. Vor ihnen schraubte sich ein einfacher Steinturm einige Meter in die Höhe. Es war kein sonderlich beeindruckendes Gebäude, aber der Schein trügt oft. „Ihr beiden bleibt hier“, wies Sarvos Gerlof und Daewyn an. „Pyrah und ich gehen zu Claudia. Die Anwesenheit einer anderen Frau wird sie vielleicht leichter zu überzeugen. Ihre Muttergefühle wecken. Wenn ihr Krach hört, kommt sofort nach oben und helft uns. Verstanden?“ Der Nord und der Bosmer nickten. „Schön. Also komm, Pyrah.“
* * *
Die Tür an Claudias Turm war unverriegelt. Pyrah und Sarvos konnten problemlos eintreten. Das Dunmer-Mädchen wunderte sich, wieso die Magierin das Schloss offen ließ. Andererseits, wenn Claudia wirklich so mächtig war, wie Sarvos sagte, hätte sie von niemanden etwas zu befürchten. Sie würde Eindringlinge einfach verbrennen.
Der erste Raum des kreisrunden Gebäudes war schon ziemlich eindrucksvoll: an den Wänden standen Regale, die bis oben mit Büchern gefüllt war. In der Mitte war ein Tisch aufgestellt, der mit verschiedensten alchimistischen Gerätschaften und Ingredienzien beladen war. „Fräulein Claudia war schon immer mehr auf Pragmatismus als auf Gastfreundschaft bedacht. Deshalb sieht es bei ihr nie sehr einladend aus.“
„Wart Ihr schon einmal hier, Vater?“ Mit großen Augen sah sich Pyrah in dem Raum um. Die Magierin schien eine ordentliche Person zu sein, denn nirgendwo fand sich Unordnung oder ein Staubkorn. Die Dunmer entdeckte eine Treppe, die weiter nach oben führte.
„Ja, war ich.“ Sarvos ging auf die Treppe zu. „Ich hatte schon öfters geschäftlich mit der Zauberin zu tun. Sie ist keine angenehme Person. Kalt ist sie. Und sie vergisst nichts. Darum wird sie sicher nicht besonders glücklich sein, wenn sie Daewyn wieder zu Gesicht bekommt. Nun komm.“ Der Schwarzfuchs stieg die Stufen nach oben. Nun durchquerte auch Pyrah den Raum und schloss zu Sarvos auf.
Das zweite Stockwerk war schon wohnlicher als der Eingangsbereich. Die Wände wurden auch von Bücherregalen dominiert, es gab hier allerdings noch eine Sitzgruppe, einen Kamin und einen Schreibtisch. An diesem saß eine Frau mit wallenden blonden Locken. Sie hatte Sarvos und Pyrah den Rücken zugewandt, weshalb sie das Eintreffen der beiden Dunmer bisher nicht bemerkt hatte. Das wollte Sarvos ändern. Mit einem Räuspern machte er auf sich aufmerksam.
Wie von der Tarantel gestochen schoss der Kopf der Zauberin. „Was zum...?“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie Sarvos erkannte. „Ihr!“, fauchte Claudia. Sie stand von ihrem Stuhl auf kam mit schwingenden Hüften zu den beiden Dunmer herüber gelaufen. Ihre eisblauen Augen ließen Pyrah frösteln. Als junge Hure hatte sie bereits gelernt, die Menschen zu durchschauen. Und Claudia kam ihr wirklich so vor, wie Sarvos sie beschrieben hatte. Alleine ihr stechender Blick ließ dem Mädchen das Blut in den Augen gefrieren. Ihren Ziehvater schien das nichts auszumachen, er behielt sein Lächeln bei. Als Claudia dann vor ihnen stehen blieb, verbeugte er sich sogar höflich. Pyrah entschied, es ihm gleich zu tun und machte einen galanten Knicks.
Das Mädchen wurde von der Zauberin zunächst völlig ignoriert, ihre ganze Aufmerksamkeit lag auf Sarvos. „Ihr. Ihr habt mich betrogen, Schwarzfuchs!“ Selbst ihre Stimme strahlte eine ungesunde Kälte aus. Pyrah war es schleierhaft, wie man mit einem solchen Eisklotz ins Bett steigen konnte.
„Betrogen?“ Der Schwarzfuchs zog eine unschuldige Mine. „Herrin, Ihr betrübt mich. Ich war stets aufrichtig zu Euch. Mit keiner Faser meines Körpers habe ich je danach gestrebt, Euch etwas böses zu tun.“
Claudias Augen wurden noch schmaler. Fast kam es Pyrah so vor, als wäre es in dem Raum noch einige Grad kälter geworden. „Ihr lügt, Sarvos. Die Subjekte, die Ihr mir besorgt habt, waren alle kränklich und haben nicht einmal den ersten Durchlauf überstanden. Ich weiß ja nicht, wo Ihr sie aufgetrieben habt, aber sie waren ihr Gold auf keinen Fall wert. Ihr solltet mich entschädigen, bevor ich Euch in eine Eisskulptur verwandle.“ Um die Fingerspitzen der Magierin züngelten nun eisige Fäden, es wurde noch kälter. Pyrah machte vorsichtshalber einen Schritt hinter Sarvos, der immer noch unbeeindruckt vor Claudia stand.
„Gekauft wie gesehen, meine Liebe. Ihr habt mir die 'Subjekte' nach einer Begutachtung durch einen Eurer Handlanger abgekauft. Wenn Ihr Euch schon beschweren wollt, dann bei Euren Untergebenen. Von mir bekommt Ihr jedenfalls keinen müden Heller zurück.“ Die ganze Zeit über verlor Sarvos nicht sein selbstsicheres Lächeln. Sein Augen blickten herausfordernd in die von Claudia.
Sie wird mir nichts tun, dessen bin ich mir sicher. Und wieder einmal lag der Schwarzfuchs richtig: das Glühen von Claudias Händen erlosch, ihre ganze Haltung entspannte sich, obwohl ihre Mine immer noch frostig war. „Schön. Aber sollte das noch einmal geschehen, werde ich nicht mehr so gnädig sein, Sarvos.“
„Wie Ihr wünscht, Herrin.“ Da sich die Lage wieder beruhigt hatte, kam Pyrah wieder hinter Sarvos hervor. Ein Fehler, wie das Mädchen schnell merken sollte, den nun fiel die Aufmerksamkeit der Magierin auf sie. „Oh, was haben wir denn hier?“ Claudia schritt um Pyrah herum und ließ ihre Blicke über den ganzen Körper der Dunmer wandern. Pyrah war das mehr als unangenehm, deshalb senkte sich den Kopf und starrte ihre Schuhe an.
Da seine Ziehtochter kein Wort herausbrachte, übernahm Sarvos ihre Vorstellung: „Das ist Pyrah. Ich habe sie vor wenigen Stunden in den Gassen des Mörderviertels aufgelesen, als ein paar Halbstarke versuchten, sie zu vergewaltigen. Sie ist jetzt meine Tochter.“
Überrascht sah Claudia den Schwarzfuchs an. Hatte sie gerade richtig gehört? Sarvos hatte dieses Mädchen adoptiert? Das konnte sich die Magierin ehrlich gesagt nicht vorstellen. So wie sie den Dunmer bisher erlebt hatte, war er ein eiskalter Jäger und beim besten Willen kein fürsorglicher Vater.
„Sie ist auf jeden Fall gut gebaut für so eine junge Dame.“ Claudia griff nach einer Brust von Pyrah und drückte zu. Das Mädchen sog scharf die Luft ein, machte einen Schritt nach hinten und sah die Magierin scharf an. Was fiel ihr nur ein, sie so anzufassen?! Hätte Pyrah ein Messer gehabt, wären nur noch die blauen Augen der Magierin übrig.
Sarvos hingegen fand das ganze sehr amüsant. Er kannte Claudia nun schon einige Jahre und hatte alle Seiten von ihr erlebt, auch die Unverschämten, die sie in diesem Moment gezeigt hatte. Ein wenig gemein war es von dem Dunmer schon, dass er Pyrah nicht vorgewarnt hatte, aber auch ein Sklavenjäger hatte ein wenig Amüsement verdient. „Entschuldige Claudia bitte.“ Das breite Grinsen verschwand einfach nicht von Sarvos' Gesicht. „Sie ist manchmal ein wenig eigen, wenn es um andere Frauen geht.“ Für diesen Kommentar erntete er von Claudia wieder einen kalten Blick. „Ihr solltet aufpassen, was Ihr sagt, sonst verwandle ich Euch in einen Eiswürfel!“
Damit schien die Magierin gerne zu drohen. Pyrah wusste schon jetzt, dass sie mit Claudia nicht sonderlich gut auskommen würde. Ihr ganze überhebliche Art war der jungen Dunmer mehr als zuwider. Sarvos hingegen bräuchte sie für die Jagd auf den Sklaven, denn in den Sümpfen der Schwarzmarsch lauerten allerlei Gefahren, mit der nur eine Magierin fertig werden konnte.
„Sagt, was ist eigentlich der Grund für Euren Besuch, Sarvos? Normalerweise kommt Ihr nie ohne einen Grund zu mir.“ „Und auch heute nicht“, bestätigte Sarvos Claudias unausgesprochene Vermutung. „Ich bin tatsächlich wegen etwas geschäftlichem hier. Ich muss einen entlaufenen Sklaven finden, der wohl zusammen mit der Tochter von Meras Ilyos in die Schwarzmarsch geflohen ist.“
Nun drückte Claudias Blick Interesse statt bloßer Kühlheit aus. „Ilyos? Der große Sklavenhändler?“ Sarvos nickte. „Faszinierend. Denkt Ihr, der Sklave hat das Mädchen entführt?“
„Nein. Schon seit einigen Wochen gibt es vermehrt entflohenen Sklaven und es gibt Hinweise, dass ihnen jemand geholfen haben könnte.“
Die kluge Magierin verstand natürlich gleich, worauf der Schwarzfuchs hinaus wollte. Er vermutete wohl, dass Ilyios Tochter etwas mit den Fluchten zu tun hatte und das sie sich nun mit dem Sklaven, der vermutlich noch ihr Liebhaber war, abgesetzt hat. Claudia konnte Ilyos nicht sonderlich gut leiden, er hat sie in der Vergangenheit mehrmals als Hexe beschimpft. Sollte sein eigen Fleisch und Blut wirklich ein Verhältnis mit einem Sklaven haben, konnte sie ihm damit gut eins auswischen. „Ich werde Euch begleiten, Schwarzfuchs. Lasst mich schnell einige Sachen packen.“
Pyrah konnte es indes kaum glauben. Sarvos hatte nicht mit einem Wort versucht, die Magierin zu überreden, sich ihnen anzuschließen. War das Magie? Für sie schien es wahrlich so.
Während sich Claudia anschickte, Kleidung, Bücher und allerlei magische Utensilien in eine Reisetruhe zu packen, ließ sich Sarvos auf ihrem Stuhl nieder. „Bevor ich es vergesse: Gerlof und Daewyn werden mit uns reisen.“ Vorsorglich ging Pyrah einige Schritt zurück, denn die Erwähnung des einstigen Geliebten würde in Claudia sicherlich nichts gutes auslösen.
Und so geschah es dann auch. Wieder wurde es schlagartige kälter in dem Turmzimmer. Das prächtige türkisblaue Gewand, das Claudia gerade in Händen hielt, verwandelte sich mit einem Schlag in einen Eisblock. „Daewyn?“, flüsterte die Magierin, wobei schon ihre Stimme ausreichen könnte, um einen das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. „Ihr bringt dieses untreue Schwein hierher und verlangt, dass ich mit ihm gemeinsam reise?“
„Bisher habe ich noch gar nichts von Euch verlangt, meine Liebe.“ Stoisch lächelnd erhob sich Sarvos nun wieder. Den Dunmer schien nichts aus der Ruhe bringen, zumindest wirkte es auf Pyrah so. „Ich verlange nicht, dass ihr mit Daewyn reist. Ich biete Euch lediglich die Gelegenheit, in die Schwarzmarschen zu reisen. Ihr könnt die Flora und Fauna erforschen und ich hörte, dass es zudem mächtige magische Artefakte im Land der Echsen geben soll. Denkt Ihr, Ihr könnt für diese Gelegenheit über Euren kleinkarierten Hass gegen einen Mann hinwegsehen, der es nicht wert ist, sich wegen ihm den Kopf zu zerbrechen.“ Die Worte waren weise gewählt und wäre Pyrah nun an Claudias Stelle, so hätte Sarvos sie sicherlich überzeugt.
Im Kopf der Magierin schien es ebenfalls zu arbeiten. Was Sarvos da sagte, war gar nicht mal so falsch. Daewyn war ein liederlicher Frauenheld, mit ihm konnte man keine ernsthafte Beziehung führen. Das sie ihm das Glied abschneiden wollte, sagte mehr als genug, was sie über ihn dachte. „Ihr habt recht. Ich werde keinen Streit mit ihm anfangen und trotzdem mit Euch reisen.“
„Fein, dann wäre unsere kleine Gruppe wohl komplett. Wir müssen noch einmal zurück in die Tränenstadt, bevor wir in die Schwarzmarschen aufbrechen. Es gibt nämlich noch einiges zu tun...“