"Manche Leute wähnen sich in Sicherheit, wenn die Gefahr am größten ist, und achten dabei nicht auf die Schatten hinter ihrem Rücken."
Lucio Mareca fuhr herum, als er die klare Stimme aus dem Hintergrund hörte, welche von einem noch relativ jungen Menschen stammen musste. Lucio hatte sich für einen Moment in seine Gemächer zurückziehen wollen, um sich umzukleiden, deshalb stand die Wache draußen vor den Türen. ...oder hatte gestanden? Wie war die Person sonst hier hineingelangt? Blitzschnell fuhr seine Hand hinüber zum Schreibtisch, dann nahm er den Brieföffner und fuhr herum, um zu sehen, wer zu ihm sprach. Es gab ein hässliches Geräusch, als die Schwertklinge der Person in den Schatten ihm den Kopf vom Rumpf trennte, welches gefolgt wurde von spritzender Flüssigkeit - dem Blut, das aus seiner Halsschlagader stieß. Lucio Mareca, der lügende und betrügende, welcher sich mit Intriegen eine hohe Position in der Unterwelt dieser Stadt erarbeitet hatte, war tot. Man hatte sich Geschichten über ihn erzählt, er habe seinen Bruder umgebracht, um an diese Position zu kommen. Shuhoku lächelte. Ein weiterer Auftrag war ausgeführt. Viel mehr Geld würde er in nächster Zeit nicht durch solche Arbeit zusammenkratzen müssen, um sich das Überleben in dieser ihm noch völlig unbekannten Welt zu sichern.
Shuhoku hob den abgetrennten Kopf auf und wickelte ihn in ein rotes Leinentuch. Sein Auftraggeber stellte seltsame Forderungen, doch war der Kopf eines toten Mannes nicht der beste Beweis dafür, dass er tot war?
Mit festem Griff packte Shuhoku den Körper des Toten und verstaute ihn in einem Schrank. Auf dem dunkelroten Teppich waren die Blutflecken auf den ersten Blick nicht zu erkennen, doch an der Wand befanden sich Spritzer. Als Shuhoku sich weiter umsehen wollte, wurde die Tür zum Atrium aufgestoßen und eine Wache kam hereingestürmt. ...
Diese hatte die Stimmen und das darauf folgende Geräusch gehört und war alamiert zur Tür gestürmt. Nun sah sich der Wächter hektisch um, entdeckte jedoch nichts. Dunkelheit waren die Freunde eines Assassinen. Der Wachmann jedoch wusste noch nicht, was genau geschehen war, so rief er in den Raum: "Lucio! Wo seid Ihr? Was ist passiert?" "Bedaure, der werte Herr Mareca ist zur Zeit wohl etwas desorientiert, er läuft völlig kopflos durch die Gegend. In diesem Moment sitzt er in dem Schrank dort und denkt, er sei im Waschraum." Die Stimme schien aus einem der Schatten links vom Wächter zu kommen. Dieser wandte sich mit gezücktem Schwert dorthin. Shuhoku hatte sich in der Zwischenzeit lautlos von der Stelle bewegt und befand sich nun hinter der Wache. Diese schlug einen Umhang zurück, hinter dem er zuvor gestanden hatte. Der Wächter knurrte. "Zeigt Euch, wenn Ihr Euch traut, Meister der Täuschung." "Dreht Euch um, mein Freund." Dem Wächter rann der Schweiß über die Stirn. Eine falsche Bewegung und er war ein toter Mann, das wusste er. Seine Chancen standen so niedrig, dass er lieber durch das Fenster vor sich gesprungen wäre. Dennoch entschied er sich anders. So untalentiert war er nicht, dass er zur Leibwache des Untergrundanführers geworden war. Die Schattenperson sollte sich ihm wenigstens zeigen, bevor er eventuell starb. Sein Schwert wirbelte durch die Luft, als er in der Drehung zu einem Hieb ausholte. Es traf Luft. Ohne zu überlegen, schwang der Mann sie mit einem Rückhandhieb in die andere Richtung. Nun sah er seinen Gegner. Es klirrte laut, als seine Klinge die Klinge des Assassinen traf, der zuvor ausgewichen war. Nun standen die beiden sich gegenüber, jeder bereit, den Kampf sofrt fortzusetzten. Shuhokus Gesicht war von Blutspritzern bedeckt. Den Wächter traf dieser Anblick wie ein Schock. Er würde so oder so umgebracht werden, entweder durch diesen Mann vor ihm, oder er wurde aufgeknüpft, weil er bei seiner Pflicht, den Anführer zu beschützen, versagt hatte. Er spannte seine Muskeln an und stieß den Assassinen knurrend von sich. Dieser lächelte. Einzig seine schwarzen, scheinbar unendlich tiefen Augen waren in dem blutbedeckten Gesicht richtig zu erkennen. "Ihr habt Kraft in den Armen." "Deshalb habe ich diesen Beruf." "Hattet", verbesserte Shuhoku, was er mit einem weiteren, spöttischen Lächeln unterlegte. Der Wachtmann bemerkte ein weiteres Schwert, welches der Assassine mit sich trug. Hätte er es in diesem Moment nicht gesehen, er hätte nun Gevatter Tod in die Augen sehen können. Shuhokus Klingen wirbelten, doch der Wächter blockte die Schläge beide ab. Dann trieb Shuhoku ihn vor sich her, wobei er sich über das Talent des Mannes vor ihm wunderte. Um ehrlich zu sein, war der Ausgang des Kampfes noch nicht klar absehbar. Shuhoku hatte bereits Erfahrung, doch dieser Wächter war nicht einfach nur eine Wache, die sich damit ihr weniges Geld verdiente, sondern die Leibwache des größten Banditenanführers im näheren Umkreis. Verbissener als noch zuvor trieb Shuhoku den Mann nun vor sich her, bis dieser die Klinge falsch platzierte und an der Schulter gestriffen wurde. Der Schlag war kräftig, doch der Mann ging nicht in die Knie. Im Gegenteil, brüllend stieß er nun aus der Deckung hervor und führte zornige, kräftige Schläge auf Shuhoku aus. Dieser wich aus, blockte, wich wieder aus und sprang hoch. Für einen Moment, in dem Shuhoku sich in der Luft befand, sahen sich die beiden in die Augen. Er hätte den Mann, der nun völlig deckungslos war, während diesem Sprung töten können. Doch er tat es nicht. Ein wuchtiger Tritt traf den Wächter an den Kopf, dann segelte er durch die Luft und krachte gegen die Schrankwand hinter ihm. Das Holz knirschte, als der breite Rücken aufschlug. Bewusstlos sackte der Wächter in eine halb sitzende, halb liegende Position hinab. Shuhoku würde ihn nicht töten, denn was er nicht verdient hatte, das hatte er nicht verdient. Einige Momente später hatte der Assassine die Villa verlassen.
......
Die Gerüche in der Taverne waren sehr unangenehm. Man roch gelagertes Salz, heißen Schweiß und Pfeifenrauch. Das Gesicht in den Tiefen einer schwarzen Kaputze verborgen, welche zu seinem Umhang gehörte, saß Shuhoku in einer dunklen Ecke und wartete. Wartete, einfach darauf, das etwas passierte. Die letzten Wochen hatte ihn die Abenteuerlust gepackt, angesichts dieser unbekannten und weiten Welt. Er hatte beschlossen, sich nach Reisegefährten umzusehen, die mit ihm gefährliche Abenteuer bestehen würden. Er wusste, das hiermit ein neuer Abschnitt in seinem Leben begann. Vielleicht würde er seine dunkle Vergangenheit auf diese Weise in den Hintergrund stellen können...